Neben Astrazeneca ist auch Sputnik V ein viel diskutierter Impfstoff. Das Vakzin wurde in Russland bereits im August 2020 zugelassen, noch bevor wichtige Studien, etwa zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen, abgeschlossen waren. Diese vorzeitige Freigabe wurde von vielen Forschern kritisiert.
Die EU-Arzneimittelbehörde EMA prüft derzeit den russischen Impfstoff, hat bisher aber noch keine Zulassung für das Vakzin erteilt. Anfang April wurden Experten von der EMA nach Russland entsendet, die derzeit die Ergebnisse klinischer Studien und die Produktionsbedingungen vor Ort inspizieren.
Kritik an Sputnik V ebbt nicht ab
Dass eine Zulassung seitens der EMA derzeit „eher unwahrscheinlich“ ist, meint auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Der Grund: die Datenlage zu Sputnik V sei widersprüchlich und intransparent.
Aktuelle Forscher-Disput zu Sputnik V
Anlass für Lauterbachs Tweet ist ein neuer Artikel eines Forscherteams in "The Lancet". Die Wissenschaftler bemängeln darin unter anderem Diskrepanzen in der Datenlage und eine mangelnde Offenlegung der Zwischenergebnisse der Studienphase III zu Sputnik V. Man müsse „ernste Bedenken“ haben, da die Daten nicht zur Überprüfung vorlägen.
"Noch schwerwiegender ist, dass es offensichtliche Fehler und numerische Ungereimtheiten in den präsentierten Statistiken und Ergebnissen gibt. … Datenaustausch ist ein Eckpfeiler wissenschaftlicher Integrität. Er sollte nicht an Bedingungen geknüpft sein und fairen Prinzipien folgen." Enrico M Bucci et al., The Lancet, 12.05.2021
In einer Stellungnahme, ebenfalls in "The Lancet", antworteten die russischen Forscher darauf, sie hätten alle Ergebnisse gemäß der wissenschaftlichen Standards veröffentlicht.
"Die Sicherheit und Wirksamkeit von Sputnik V wurde in mehreren Studien bestätigt." Denis Y Logunov et al., The Lancet, 12.05.2021
Auch Deutschland verhandelt um Sputnik V
Für den Fall, dass die Zulassung des Vakzins in Europa durch die EMA erfolgen solle, haben sich einzelne Bundesländer bereits Chargen gesichert. So hat Bayern einen entsprechenden Vorvertrag über 2,5 Millionen Impfdosen abgeschlossen. Mecklenburg-Vorpommern hat sich ebenfalls Sputnik V-Dosen gesichert. Und auch die Bundesregierung verhandelt derzeit mit Moskau um Sputnik V.
Fragen und Antworten zum Impfstoff, den die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) gerade prüft.
Welche politischen Bedenken gibt es?
Russland gab bereits Mitte August 2020 mit Sputnik V den weltweit ersten Corona-Impfstoff für eine breite Anwendung in der Bevölkerung frei. "Impfen ist immer auch Politik, es geht nie nur um medizinische Fragen", sagt Historiker Malte Thießen, der sich mit der Geschichte der Immunisierung seit der ersten Pocken-Impfung beschäftigt. Er spricht von Vorbehalten im westlichen Teil der EU. Die Vergiftung von Kremlkritiker Alexej Nawalny dürfte für manchen Bürger zudem ein Grund sein, sich kein Produkt aus Russland injizieren lassen zu wollen. Den Namen Sputnik für einen Impfstoff zu wählen, sei bereits eine "Propaganda erster Klasse", so Thießen. Sputnik 1 hieß der weltweit erste gestartete Satellit, mit dem die Sowjetunion 1957 die westliche Welt schockierte.
Welche Zweifel haben Wissenschaftler?
Für die erste weltweite Impfstoff-Freigabe hagelte es für Russland international Kritik. Wissenschaftler beklagten vor allem das Fehlen schlüssiger Daten. Grund ist, dass die Zulassung vor dem Vorliegen der Ergebnisse sogenannter Phase-III-Studien stattfand. Das widerspricht dem üblichen Ablauf. Denn in der Prüfung mit mehreren Tausend Probanden könnten seltene Nebenwirkungen erkannt werden, heißt es beim Paul-Ehrlich-Institut.
Erste Details zu Sputnik V veröffentlichten die Forscher Anfang September 2020 in der Fachzeitschrift "The Lancet". Demnach regt der Impfstoff eine Immunantwort an. Bei insgesamt 76 Teilnehmern konnten in der Testphase I/II Antikörper gegen das Virus nachgewiesen werden. Es folgte wieder Kritik am Vorgehen Russlands, aber auch Aufatmen: Das nun vorliegende Ergebnis sei eindeutig. Das wissenschaftliche Prinzip der Impfung sei aufgezeigt worden, sagte Forscherin Polly Roy von der London School of Hygiene & Tropical Medicine dem Fachblatt "The Lancet".
Wie funktioniert der Impfstoff Sputnik V?
Das vom staatlichen Gamaleja-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelte Vakzin ist ein sogenannter Vektor-Impfstoff und damit dem Impfstoff von Astrazeneca ähnlich. Wie dieser kann er bei Kühlschranktemperatur transportiert und gelagert werden.
Um die Informationen in den Körper zu schleusen, nutzen beide abgeschwächte, harmlose Viren. Ziel ist es, das Immunsystem dazu zu bringen, Abwehrreaktionen gegen Sars-CoV-2 hervorzurufen. Bei Kontakt mit dem Coronavirus ist der Körper dann vorbereitet und kann die Infektion besser eindämmen.
Verabreicht wird der russische Impfstoff in zwei Dosen im Abstand von 12 Wochen. Bei den beiden Impfdosen werden zwei verschiedene Erkältungsviren (Adenoviren) als Transportmittel (Vektor) eingesetzt. Dies soll verhindern, dass Immunreaktionen auf das Vektor-Virus der ersten Impfdosis die Wirkung der zweiten Dosis abschwächen.
Zu den Nebenwirkungen von Sputnik V zählen Schmerzen an der Einstichstelle, Kopf- und Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit und teils grippeähnliche Symptome. Zudem gibt es Berichte über Fieber und Schüttelfrost.
Wie gut ist Sputnik V?
In einer "Zwischen-Analyse" der wichtigen Testphase III mit rund 20.000 Freiwilligen kamen russische Forscher auf eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent. Die Ergebnisse wurden im Februar 2021 ebenfalls im medizinischen Fachblatt "The Lancet" publiziert. Sie decken sich mit früheren Angaben.
Eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent bedeutet, dass in der geimpften Gruppe 91,6 Prozent weniger Erkrankungen auftraten als in der Kontrollgruppe. Damit hat Sputnik V demnach eine in etwa gleiche Wirksamkeit wie die Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer und eine deutlich höhere als das Mittel von Astrazeneca. Nach Darstellung der Moskauer Behörden funktioniert Sputnik V auch bei der ansteckenderen britischen Variante B.1.1.7. Der Impfschutz wird 21 Tage nach der zweiten Impfung aufgebaut.
Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko), bewertet den russischen Impfstoff Sputnik V als prinzipiell vielversprechend. Die russischen Forscher bezeichnete er als "sehr gut". Auch habe Russland eine lange Tradition in der Entwicklung von Impfstoffen. Allerdings seien die bislang veröffentlichten Daten zu Sputnik V in den Fachpublikationen nur sehr knapp zusammengefasst worden.
In Russland selbst ist Sputnik V ein Ladenhüter, die Impfskepsis dort ist groß. Laut einer Mitte Mai veröffentlichten Erhebung des russischen Lewada-Instituts waren 62 Prozent der Befragten nicht bereit, sich mit Sputnik V impfen zu lassen. Bislang sind etwa zehn Prozent der Bevölkerung einmal geimpft, knapp 7 Prozent der 146 Millionen Einwohner Russlands erhielten bereits beiden Dosen des Impfstoffes.
Wie viel verkauft Russland davon und an wen?
65 Länder weltweit, darunter auch das derzeit stark von der Pandemie betroffene Indien, haben Sputnik V bislang zugelassen, teilt der staatliche Direktinvestmentfonds RDIF mit (Stand 18.05.). RDIF ist an der Finanzierung von Sputnik V beteiligt und kümmert sich um die Vermarktung des Impfstoffs.
In Brasilien wird Sputnik V hingegen vorerst nicht verwendet. Die für Arzneimittel zuständige Behörde Anvisa teilte zur Begründung mit, nicht nur die Wirksamkeit des Impfstoffs lasse sich schwer überprüfen. Darüber hinaus mangele es an Daten zur Qualitätskontrolle. Nicht zuletzt seien in Proben für die zweite Dosis des Impfstoffes aktive Träger-Viren gefunden. Eigentlich dürfen diese im Impfstoff nur inaktiviert vorliegen.
In der EU ist das Präparat auch ohne Zulassung schon in Ungarn und bald in der Slowakei im Einsatz. Andere europäische Länder wie Tschechien und Österreich hatten Interesse signalisiert - zur Sorge der EMA: Christa Wirthumer-Hoche von der EU-Arzneimittelbehörde warnte EU-Staaten, noch vor der EMA-Prüfung den russischen Impfstoff einzusetzen. Entscheidende Daten von Geimpften lägen nicht vor.
In der Slowakei können sich die Menschen ab Juni mit Sputnik V impfen lassen. Der slowakische Gesundheitsminister kündigte Mitte April eine Genehmigung für die Verwendung des Impfstoffes an. Die Slowakei hatte bereits sechs Wochen zuvor eine erste Lieferung von Sputnik V erhalten. Bislang wurde aber noch keine einzige der 200.000 gelieferten Impfdosen verimpft, da die slowakische Arzneimittelbehörde Zweifel an der Sputnik-V-Charge geäußert hatte. Der Ankauf des russischen Vakzins hatte eine Regierungskrise in der Slowakei ausgelöst, die zum Rücktritt des damaligen Ministerpräsidenten Igor Matovic und seines Gesundheitsministers Marek Krajci führte. Labortests haben inzwischen die Zweifel an den Chargen ausgeräumt.
Der Kleinstaat San Marino, der kein EU-Mitglied ist, bietet unterdessen eine Impfung mit Sputnik V für Touristen an. Der Preis für die erforderlichen zwei Dosen des Impfstoffs liege bei 50 Euro, schrieb die italienische Zeitung „Corriere della Sera“.
Nach Angaben des RDIF könnten ab Mitte des Jahres in der EU 50 Millionen Menschen mit Sputnik V versorgt werden. Dabei soll der russische Impfstoff für die EU auch gleich hier produziert werden. Dazu wurden nach unbestätigten Angaben von RDIF bereits Produktionsvereinbarungen mit Firmen in Deutschland und anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien geschlossen. Bayerns Ministerpräsident Söder kündigte Anfang April an, die Pharmafirma R-Pharm Germany im schwäbischen Illertissen plane, das Sputnik-Vakzin herzustellen. Die Produktionsstätte soll in den kommenden Monaten im Landkreis Neu-Ulm ausgebaut werden. Weil noch Genehmigungen von Behörden des Landkreises ausstehen, herrscht derzeit allerdings Baustopp.
Bringt Sputnik V das Impftempo in der EU voran?
Trotz aller Bemühungen Sputnik V in der EU zu etablieren, könnte es allerdings sein, dass der russische Impfstoff am Ende nur eine untergeordnete Rolle für ein höheres Impf-Tempo in der EU spielen wird. Denn bis die Herstellungskapazitäten für Sputnik V in Europa in einem nennenswerten Umfang aufgebaut sein werden, stehen andere Impfstoffe in großem Umfang bereit. So verspricht beispielsweise das im Februar in Betrieb genommene Biontech-Werk im hessischen Marburg, bis Ende des ersten Halbjahres 250 Millionen Dosen zu produzieren.
Auf die Impfkampagne in der EU wird Sputnik V also eher keine großen Auswirkungen haben. Mehrere Produktionsstandorte in der EU würden es Russland aber erleichtern, weltweit mehr Länder mit Sputnik V zu versorgen.
(Mit Material von dpa, AFP)
"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!